Veronika Rodenberg | Katalog zs art | Text von Cornelia Hellstern
GEDANKENRÄUME
Das Unendliche im Endlichen
Sich einlassen. Einlassen auf den angebotenen Raum, imaginär und real. Sich einlassen auf einen Dialog, auf die sich individuell offenbarenden Gedanken und Fragen, auf das nicht Sichtbare, auf Gedankenräume, auf die eigene Wahrnehmung. Klarheit spüren, die sich aus der Verdichtung des Wesentlichen ergibt.
Die Gedankenräume, die Veronika Rodenberg ihren Betrachterinnen und Betrachtern anbietet, sind in gleicher Weise Voraussetzung wie auch Teil des Entstehungsprozesses ihrer Arbeiten selbst. Vor ihrem persönlichen Hintergrund entwickelt, der sich im schöpferischen Prozess ausdrückt – jedoch nicht lesbar ist, nicht deutbar. Soll er auch nicht sein. Denn im Vordergrund steht das individuelle Begreifen, die Wahrnehmung und die Erfahrungswelt eines jeden einzelnen – und das Angebot an uns Betrachtende, uns auf ihr Werk und auf die dahinterliegende, zugrundeliegende Gedankendichte einzulassen.
Durch die Reduktion auf das Wesentliche, die Konzentration und Verdichtung der Gedanken auf der einen Seite kann sich diese Essenz in der Wahrnehmung auf der anderen Seite entfalten.
Annäherung an das Unsichtbare
Veronika Rodenbergs Themen und Beweggründe sind philosophischer Natur. Ihre unterschiedlichen Serien und Werkgruppen basieren auf der Auseinandersetzung mit dem Unbeschreiblichen, auf Wahrnehmungsfragen, auf der Frage nach Sinnhaftigkeit, nach dem Verhältnis der Dinge zueinander, nach dem Seienden. Im Entstehungsprozess nähert sie sich ihren Arbeiten über Fragen, immer als Suchende. Und dabei Lösungen auf noch nicht bekannte Fragen entdeckend. Ein Werk führt zum nächsten. Sie überlässt sich dem inneren Dialog, wandert vor und zurück in den Gedankenräumen, überlässt sich der Freiheit und Lebendigkeit des Denkens. Gedanken entfalten sich, sie geht ihnen nach, ergründet ihre Tiefe, lässt sich auf sie ein, lässt sie sich entwickeln – um sie schließlich sichtbar zu machen: Das Unbeschreibliche ausdrückend, dem Nicht-Greifbaren Materie, Form gebend.
Form, Gestalt, Geometrie sind dabei aber nur Mittel zum Zweck und nicht um deren Willen entstanden. Sie sind die Vokabeln, mit denen die Gedanken ihre Übersetzung im Werk finden. Nicht vom Gegenstand abstrahiert. Denn wirklich abstrakt kann nur der Gedanke sein.
Nichts steht für sich
Geprägt durch ihren beruflichen Werdegang nimmt zu Beginn ihres künstlerischen Schaffens der reale Raum, der Raum, in dem wir leben, stärker Präsenz in ihrem Werk ein. Räume, mit denen das Seiende in Beziehung steht, gleichermaßen Teil dessen ist, sich gegenseitig bedingend.
Veronika Rodenberg verweist bei ihrer Definition von Raum dabei auf das, was wir gemeinhin als solchen wahrnehmen – als dreidimensionale, in seiner Ausdehnung mehr oder weniger streng abgegrenzte Einheit, die mit den Sinnen unmittelbar erfasst werden kann. Mit ihrer Werkreihe »Imaginärer, beabsichtigter und nicht beabsichtigter Raum« reduzierte sie jedoch die Vielzahl unterschiedlicher Raumtypen – von natürlichen über von Menschen geschaffenen bis zu statischen oder sich verändernden – auf drei unterschiedliche Raumbetrachtungen, die in wechselseitigem Verhältnis der permanenten Neuverhandlung zueinanderstehen. Zwischen Interpretation und Konsens, zwischen individuell und soziokulturell, und insbesondere auch im Zusammenspiel mit intellektuellen, geistigen Prozessen. Zwischen subjektiver und objektiver Wahrnehmung.
Während der imaginäre Raum individuell aus den Erfahrungen, Erwartungshaltungen eines jeden einzelnen an die Gestalt eines Raumes entsteht, führen Wahrnehmung und Interpretation vorhandener Strukturen zum beabsichtigten Raum. Nichts steht jedoch für sich. Und so kann der beabsichtige Raum auch als abgegrenztes Ergebnis aller anderen Räume betrachtet werden: Jeder beabsichtige Raum steht in Beziehung zu einer unendlichen Anzahl nicht beabsichtigter Räume. Deren Verhältnis zueinander – in harmonischer Koexistenz oder konkurrierendem Widerspruch – wirkt sich wiederum auf den zugrundeliegenden imaginären Raum aus.
In ihren Arbeiten zeigt sich dieses Geflecht aus Seiendem und Geistigem, aus Erscheinung und Wahrnehmung, in feinen Konstruktionslinien, die den Entstehungsprozess sichtbar lassen. Alles ist miteinander in Beziehung, nichts steht für sich.
Auch in Veronika Rodenbergs Zeichnungen der Werkserie »aus Alles ist Zahl« ist dieser innere Zusammenhalt spürbar. Beinahe fliegende Linien, im ersten Augenblick nicht ortbar, nicht einordbar. Ihr Bezug, ihre Beziehung untereinander liegt in einer Schichtung aus den Ziffern 0 bis 9 begründet. In ein Quadrat eingeschrieben, übereinandergeschrieben, bildet diese Überlagerung die zugrundeliegende Struktur. Einzeln entnommen, einzeln im Raum oder sich kreuzend, referenzieren sie ihre Gesamtheit.
Werden und vergehen
Die Auseinandersetzung mit Ordnungsprinzipien führt Veronika Rodenberg zu einer unbegrenzten Anzahl an Gestaltungsmöglichkeiten. »Auflösung und Neuordnung« ist daher nicht nur der Titel einer Werkreihe, sondern eines der zentralen Motive ihrer Arbeit. Werden und Vergehen. Rationale Operationen als Ausdruck des stetigen Wandels. »Alles ist längst vorhanden, längst gesagt. Die Frage ist, wie wir es neu aufgreifen, neu in Beziehung setzen.«
Durch die systematische Zerlegung eines Quadrates innerhalb des ihm innewohnenden Koordinatensystems aus Quadraten und seinen Diagonalen entstehen durch die Neuordnung der Elemente neue Wirklichkeiten. Neue Raumkonstellationen. Das Nicht-Greifbare dabei ausdrückend, beschreibend: Mal sind die Konturen der imaginären Flächen ausschließlich als Linien dargestellt, mal als Reihen aufeinanderfolgender Zahlwörter. Mal in einer Farbe, mal in unterschiedlichen Farben, mal heller Grund, mal tiefblauer Grund. Linie, Fläche und Raum sind Operationsmöglichkeiten, die Neuordnungen entstehen lassen. Gedanken visualisierend und dabei selbst zur Darstellung werdend. Vorgehensweise und Prozess der Ordnung ablesbar machend. Geometrische Vokabeln.
Immer wieder neu ordnet sie auch die Strukturen in den Quadraten der »Weißen Objekte« und »Verdichteten Transparenzen«. Mit Schrägen, die Dynamik der Diagonalen aufgreifend. Der Fibonacci-Reihe folgend, der Progression nach unendlich, die die inneren Bezüge spürbar werden lassen. Der Raum entwickelt sich über eine nicht bestimmbare, nur fühlbare monochrome Farbigkeit in die Tiefe: räumliche Bildebenen aus Glas und Karton. Dabei gibt es kein oben, kein unten, kein richtig oder falsch. Nur die Freiheit der eigenen Entscheidung.
Verdichtung des eigenen Seins
Auf der Suche nach Gedankentiefe kommt Veronika Rodenberg dabei immer mehr zum Kern ihrer Arbeitsweise, ihrer Denkweise. In der Philosophie findet sie sowohl Bestätigung des künstlerisch Erarbeiteten als auch den Ausgangspunkt für neue Überlegungen und Fragestellungen. Die Botschaft ihrer Werke kann nur geistig erfasst werden, weshalb sie um so mehr im Dialog mit den Betrachterinnen und Betrachtern sein möchte, das Kunstwerk dabei als Mittler. Gedankenräume anbietend, in denen sich die eigene Erfahrungswelt seines Gegenübers entfalten kann, in der Auseinandersetzung mit dem Unbeschreiblichen.
In ihren »Blauen Objekten« offenbart sich dabei den Betrachtenden das Unendliche im Endlichen: Unterteilt in matte und hochglänzende Bildflächen, führt die tiefblaue Farbe auf eine geistige Ebene, in einen nicht erfassbaren Raum. Sein Gegenüber im realen Raum reflektierend, gleichermaßen den Blick auf der matten Fläche zur Ruhe kommen lassend.
Im Laufe der Jahre hat sich die Gestalt der Werke verändert. Vom Quadrat zum Rechteck und schließlich zu aus den Ebenen heraustretenden Flächen, davor, dahinter. Reale Räumlichkeit, die eine Durchlässigkeit entstehen lässt, die uns Betrachtenden erlaubt, in Ihre Gedankenräume einzutreten. Um uns auf sie einzulassen.